Der erste Weihnachtsabend allein …
… ist der allerschlimmste aus einer Serie sehr schlimmer Weihnachtsabende. Keine Botschaft, die zum Frohlocken bringt. Ich weiß. Aber die Realität. Und mit der umzugehen, ist eine Herausforderung, von der man zunächst nicht denkt, sie jemals bewältigen zu können.
Wir hängen lustlos die Glitzerkugeln auf den Christbaum. Oder wir hängen sie nicht drauf, weil keiner im Wohnzimmer steht, weil die Erinnerungen an vergangene, gemeinsam geschmückte Prachttannen dem Weg zum Christbaumhändler im Weg standen. Wir sitzen heulend im Wohnzimmer und Hologramme früherer Feste versauen uns das Leben. Weihnachten wurde für uns zum Nichtsnutz. Das Gute an der Sache, wir stehen heuer nicht stundenlang in der Küche, um das Festmahl zuzubereiten. Das Schlechte an der Sache, wir würden es so viel gern tun. Stattdessen krümmen wir uns auf der Couch und schreiben traurige Haikos. Wir googeln, wie man den perfekten Henkersknoten knüpft und vergleichen Klientenbewertungen von Therapeuten, Wahrsagern und Scheidungsanwälten. Die Hoffnungslosigkeit sitzt neben uns auf der Couch und hat uns fest im Arm. Keine Ahnung, wie es geht, das Erlebte zu überleben.
Das ist alles in Ordnung. Leichter macht es die Sache aber nicht. Wenig hilfreich ist auch, am Weihnachtsabend durch die Gegend zu streunen und andere, durch verbotene Blicke in erleuchtete Wohnzimmerfenster, beim unterm Christbaum sitzen, zu beobachten. Mit Wehmut die Fotothek besserer Zeiten durchzusehen, Weihnachts-Playlists in Endlosschleife zu hören … Tut alles nichts, außer weh. Wer noch nicht genug gelitten hat, sehe sich Filmklassiker wie Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, Disney’s Weihnachtsgeschichte oder die Royal Tannenbaums an. Derlei Unfug kurbelt die Produktion an Tränenflüssigkeit und den Taschentuchverbrauch garantiert weiter an.
Nichts hilft wirklich, aber manches ist weniger schmerzhaft als anderes. Um das erste Weihnachtsfest als Zwangsversingelte zu überstehen, ist erlaubt, was es uns überleben lässt. Wenn die Kraft ausreicht, tun wir uns vielleicht mit anderen zusammen und gehen aus. Sie werden erstaunt sein, was sich am Weihnachtsabend abspielt im öffentlichen Raum. Wenn Sie die letzten 10, 20, 30 Jahre den 24.12. daheim mit Familie verbrachten, haben Sie nicht mitbekommen, was mittlerweile los ist an diesem Abend und Ihrer Stadt. Also raus aus der Verzweiflung, wenigstens für ein paar Stunden. Morgen können Sie sich ihr wieder widmen.
Wenn das nicht klappt, ran ans Alkoholdepot oder den Medikamentenschrank und rein mit einer Schlaftablette. Auch ein Gläschen Baldrian (oder dessen rezeptpflichtige Verwandte) passt ins Programm. Diese Exitstrategien leiten Sie ein, noch bevor hinter anderen Fenstern die Kerzerln angezündet werden. Wir dürfen das erste einsam-statt-gemeinsam- Weihnachtsfest ruhig bestreiken. Warum auch nicht? Zulässig ist alles, was uns über den 24. Dezember hinwegrettet. Dem Christkind ist es wurscht, ob eine mehr oder weniger Stille Nacht singt.
Der erste Weihnachtsabend allein ist das Letzte. Wurde uns der Beziehungsboden entzogen, gehts abwärts. Steil und unvorstellbar tief. Das spüren wir zu Weihnachten besonders heftig. Und am Geburtstag, am Muttertag, zu Ostern, dem Jahrestag, dem Tag des ersten Kusses, dem Tag des letzten, bei jeder Familienfeier, dem Tag des Kennenlernens und dem Tag des Abschieds. Also, genau genommen, jeden Tag.
Und wir meinen, dass das immer so weitergehen wird, sich niemals wieder etwas zum Guten wenden kann. Tut es aber doch! Sicher nicht beim ersten Weihnachtsfest, wahrscheinlich auch noch nicht beim zweiten. Aber es kommt der Weihnachtsabend, an dem wir waidwunden Ex-Frauen mit schulterzuckender Akzeptanz Vanillekipferl, wenn schon nicht backen, so doch vernaschen. Wir wieder Tannen heimschleppen und den Andachtsjodler singen. Irgendwann schafft jede von uns es. Und bis wir soweit sind, kaufen wir uns zu Weihnachten Voodoo-Puppen und spicken sie mit dicken Schaschlik-Spießen. In der Herzgegend. Dort, wo es, wir wissen, besonders weh tut.
Zuletzt – immerhin ist Weihnachten – als kleines Geschenk eine wichtige, weil persönliche Erkenntnis: Es ist ein langer Weg zurück zu Eigenständigkeit, Liebe und Unabhängigkeit. Aber wer ihn geht erlebt: Alles ist da, wenn wir angekommen sind.
Und noch etwas: Wer uns verlässt, der hat uns nicht verdient!