Ich melde mich dann wieder
Es gibt virtuelle Begegnungen auf Partnerbörsen, die machen richtig Lust, den Chatpartner im echten Leben kennenzulernen. Man vereinbart das erste Date. Am Weg dorthin gibt es ein wenig Herzklopfen, eine vage Hoffnung und große Neugierde.
Und dann sitzt man einander gegenüber und die Realität wischt alles blitzartig vom Tisch. Die Optik erschreckt, der Geruch irritiert, die Stimme lässt die Ohren klingeln und das Gesagte langweilt plötzlich oder nervt.
Richtig und vor allem fair wäre es, dem Gegenüber schon beim ersten Espresso einzugestehen, dass Sie sicher sind, kein zweites Date vereinbaren zu wollen. Kaum jemand macht das. Es wird ausgesessen, was reine Zeitverschwendung ist.
Ein einfaches „Danke, dass du dir Zeit genommen hast für unser Treffen, aber ich bin überzeugt, dass wir doch nicht zueinander passen. Es tut mir leid“, schafft Klarheit. Ja, es ist direkt, ja, es kann für den anderen enttäuschend sein. Aber es wäre fair, ehrlich und anständig.
Sparen Sie sich Sätze wie „Es liegt nicht an dir“. Natürlich liegt es am anderen, würde sie oder er Ihren Erwartungen entsprechen, hätten Sie ja Freude an der Begegnung, Lust auf ein Wiedersehen. „Ich hatte mir etwas anderes vorgestellt“, ist – so Sie nicht einem extremen Alters- Foto- oder sonstwie Betrug aufgesessen sind – auch irgendwie beschämend.
Und die Einladung „Lass uns Freunde bleiben“ ist niemals Trost, sondern würde auch von der treuherzigsten Seele als Affront verstanden, wenn Sie sich nach zehn Minuten schon vom Acker machen.
Weshalb haben Menschen, die den Mut aufbringen, einen Wildfremden zu daten, dann Angst vor der anstehenden Konfrontation mit der Realität? Weshalb beenden so viele eine erste Begegnung mit einem schwammigen: „Ich melde mich dann wieder“, wenn sie doch sagen wollten: „Ich fange mit dir nichts an. Es hat nicht gefunkt. Wir beide passen nicht zueinander“?
Es ist wohl weniger die Sorge, die Gefühle des Gegenübers zu verletzen. Es ist Feigheit, fehlende Ehrlichkeit. Es ist Bequemlichkeit. Und es ist einfach fies, den Datingpartner nicht wissen zu lassen, dass man an einer Fortführung der Bekanntschaft nicht interessiert ist.
Anständige Menschen sorgen am Ende eines ersten Dates für Klarheit. Weil, wie der reichlich unbekannte Schweizer Aphoristiker Paul Schibler, schon feststellte: „Anstand der Respekt vor der Würde des anderen ist“.